Die Demontage der gesetzlichen Krankenversicherung

Am 1.1.2004 trat das von der sozialdemokratisch geführten Regierungskoalition beschlossene

"Gesetz über die Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung"

in Kraft.

Dieses Gesetz beinhaltet praktisch die Außerkraftsetzung der bisherigen Form der Krankenversicherung. Die Bevölkerung erfuhr immer nur bröckchenweise von der stets überlegen lächelnden Gesundheitsministerin von den von der sozialdemokratisch-grünen Regierung vorgesehenen sozialen Grausamkeiten. Nacheinander gingen Schlag- und Reizwörter wie "Bürgerversicherung", "Kopfpauschale", "Praxisgebühr", "Abschaffung der Befreiung von der Zuzahlungspflicht", "Abschaffung des Arbeitgeberanteils bei der Pflegeversicherung" durch die Medien. Die "Hartz-Kommission", die "Rürup-Kommission" und die "Herzog-Kommission" wetteiferten um den Spitzenplatz beim Abbau des Sozialstaates. Das Rennen machte die jeweils unsozialste Variante.

Der Vorwand für diese schwersten Einschnitte: Die Krankenkassenbeiträge sollten um ganze 0,7% von 14,3% auf 13,6% des Einkommens sinken. Die Politiker aller Richtungen nicken beifällig, die Kommentatoren und Kolumnisten schweigen, und die Bevölkerung läßt sich einwickeln . . .

Ulla

Quelle: DER TAGESSPIEGEL Nr. 18 346 vom 2.1.2004, Seite 8


In dem radikalen Abbau von sozialen Errungenschaften, die Sozialdemokraten und Gewerkschaften in mehr als hundert Jahren erkämpft hatten, ist eine zunehmende US-Amerikanisierung unserer Gesellschaft erkennbar. Während in Europa vor allem in den Niederlanden, in den skandinavischen Ländern und in Deutschland tragfähige und belastbare soziale Netze entstanden, blieben die USA in sozialer Sicht bis heute auf dem Stand eines Entwicklungslandes zurück. Und eine Partei, die sich als "sozialdemokratisch" bezeichnet, vertritt heute  brutalkapitalistische  Positionen, die noch vor wenigen Jahren von genau dieser "sozialdemokratischen" Partei erbittert bekämpft worden waren. Und die gesamte Abwendung von den sozialdemokratischen Grundprinzipien firmiert unter der Überschrift "Reformen"!

Mit zu diesen "Reformen" zählt die Abschaffung der Krankenkassen-Zuschüsse für Zahnersatz ab 1.1.2005. Jeder Mensch wird älter; daran können weder Herr Schröder noch Frau Merkel noch Frau Schmidt noch Herr Hartz noch Herr Rürup irgendetwas ändern. Und jeder Mensch, der älter wird, verliert nacheinander seine Zähne. Auch Herr Schröder, Frau Merkel, Frau Schmidt, Herr Hartz und Herr Rürup. Doch Herr Schröder, Frau Merkel, Frau Schmidt, Herr Hartz und Herr Rürup sind finanziell abgesichert. Doch was ist mit den Rentnern, die aufgrund von Statistiklügen nur 300 € oder 400 € im Monat bekommen? Und deren sind sehr, sehr viele! Glauben die cleveren Spitzenpolitiker in SPD, CDU, CSU und bei den GRÜNEN, daß noch ein einziger Rentner ihnen ihre Simme geben wird?


Die Reform ist eine Katastrophe

Auf die Frage, ob die neue gesetzliche Regelung, derzufolge Langzeitarbeitslose ab dem Jahre 2005 jede Arbeit annehmen müssen, verfassungswidrig sei, antwortete die Vorsitzende des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, Barbara Stolterfoht:

"Das wird zu prüfen sein. Auf jeden Fall ist diese Regelung sozial- und arbeitsmarktpolitisch eine Katastrophe."

Hand in Hand mit dieser Entwicklung geht eine "Privatisierungswelle" einher. Die Zusammenfassung aller privaten Postdienste zur "Deutschen Reichspost" und aller privaten Bahnbetriebe zur "Deutschen Reichsbahn" vor mehr als hundert Jahren hatte Jahrzehnte gedauert. Diese Zusammenfassung hatte der Bevölkerung großen Nutzen gebracht. In den USA ist man jedoch niemals soweit gekommen. Aber da heute in Deutschland alles nachgeäfft werden muß, was in den USA geschieht, müssen Verhältnisse, die gesellschaftlich oder sozial fortschrittlicher sind als in den USA, den rückständigen Verhältnissen in den USA angeglichen werden.

In unserem Nachbarland Frankreich wäre es bei einer solchen Situation auf jeden Fall zum Generalstreik gekommen. Doch bei uns in Deutschland, wo die Verdummung der Bevölkerung besonders weit fortgeschritten ist - siehe PISA-Studie - läßt sich die Bevölkerung von den Medien und den medienwirksamen Auftritten der Politiker in täglichen Talkshows einwickeln und schluckt alles!

Hier wäre eine Chance für die Gewerkschaften, ihre Existenzberechtigung nachzuweisen und auf die Barrikaden zu steigen, um den Abbau der von ihnen (und ihren Vorgängern) einst erstrittenen Rechte durch die große Koalition der Sozialstaatsgegner und "Modernisierer" zu verhindern. Aber was geschieht? Die Namen Bsirske, Sommer, Peters, Engelen-Kefer u.a. stehen für das Verharren auf längst überholten Klassenkampf-Positionen. Von solchen Gewerkschaften ist keine Hilfe für die Gesellschaft zu erwarten. Sie werden nicht mehr gebraucht.




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