Die Rentenlüge

Der Begriff "Rentenlüge" ist in den vergangenen Jahrzehnten von den politischen Parteien bis zum Überdruß als Wahlkampf-Waffe benutzt worden. Jede Seite warf und wirft der jeweils anderen vor, die Wähler belogen zu haben. Doch das ist nicht Volksaufklärung, sondern Propaganda.

Es gibt aber eine echte Rentenlüge, die nichts mit Wahlkampf-Propaganda zu zun hat. Diese echte Rentenlüge hat drei Komponenten:

I.

Der ehemalige Arbeitsminister Norbert Blüm hatte während seiner Amtszeit das Prinzip der "leistungsbezogenen Rente" gegen sämtliche Reformversuche mit Klauen und Zähnen verteidigt.

Tatsächlich ist das jetzige Rentensystem jedoch nicht leistungsbezogen. Es bevorzugt vielmehr einseitig die Arbeitnehmer und belastet ebenso einseitig die Firmen und Betriebe. Die Hälfte der eingezahlten Beiträge zur Rentenversicherung muß bei Arbeitnehmern von den jeweiligen Arbeitgebern aufgebracht werden. Dadurch werden die Unternehmen erheblich belastet und die Lohnnebenkosten werden hochgetrieben.

Die größte Bevorzugung in diesem äußerst merkwürdigen System geniessen Beamte und Politiker. Sie brauchen überhaupt nichts in die Rentenkasse einzuzahlen. Die Altersversorgung dieser Berufsgruppen geschieht durch steuerfinanzierte Pensionen in Luxus-Höhe (verglichen mit dem, was alles anderen Bürger im Alter erwartet).

Das Problem der luxoriösen Beamten- und Politiker-Altersversorgung auf Kosten der Steuerzahler soll hier nicht behandelt werden. Es wäre aber an der Zeit, daß hier endlich eine Änderung stattfände. Die Einführung einer "Bürgerversicherung", an der sich sämtliche Berufsgruppen - also auch Selbständige, Beamte und Politiker - beteiligten müßten, wäre der einzige Ausweg aus der gegenwärtigen Renten-Misere. Natürlich läuft die Interessenvertretung der Beamten dagegen Sturm. Eine Alternative zur "Bürgerversicherung" wäre es, den Beamtenstatus vollständig abzuschaffen.

Wer sein ganzes Leben lang als Arbeitnehmer gearbeitet hat, bekommt somit keine leistungsbezogene Rente, die sich aus seinen eigenen Beiträgen errechnet, sondern er bekommt genau das Doppelte davon, da ja seine Arbeitgeber noch einmal die gleichen Beträge an die Rentenversicherung abführen mußten. Nicht-Arbeitnehmer - also Selbständige und Freiberufler - sind dadurch erheblich benachteiligt. Sie müßten freiwillig Beiträge an die Rentenversicherung einzahlen, die doppelt so hoch wären wie die Beitragssätze von Arbeitnehmern, um einen Rentenanspruch in gleicher Höhe zu erlangen. Zudem haben sie die Hälfte der Sozialversicherungsbeiträge jedes bei ihnen an- oder eingestellten Arbeitsnehmers zu tragen.

Die einseitige Bevorzugung der Arbeitnehmer in der Rentenfrage trägt überdeutlich die Handschrift der Gewerkschaften. Diese in den Sozialgesetzbüchern festgeschriebene Regelung verstößt ohne jeden Zweifel eklatant gegen den Gleichheitsgrundsatz im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Es ist erstaunlich, daß bisher noch keine Verfassungsklage gegen diese Sozialgesetzgebung erhoben worden ist.

Viel sinnvoller wäre eine steuerfinanzierte Grundrente, so wie es seit Jahrzehnten in den Niederlanden und in Schweden gehandhabt wird. Auch der Wirtschaftswissenschaftler und spätere Ministerpräsident des Bundeslandes Sachsen, Prof. Kurt Biedenkopf, plädierte für eine steuerfinanzierte Grundrente nach dem Vorbild der Niederlande. Dadurch zog er sich die erbitterte Gegenerschaft von Helmut Kohl und Norbert Blüm zu. Kurt Biedenkopf wurde kaltgestellt. Daß er dann später in Sachsen Erfolg haben würde, ahnten seine seine Widersacher danals nicht.

Schließlich haben die von den derzeitigen Sozialgesetzen benachteiligten Selbständigen und Freiberufler mehr als genug zum Steueraufkommen (Mehrwertsteuer, Einfuhrumsatzsteuer, Gewerbesteuer) beigetragen. Sie haben also ein Anrecht auf eine steuerfinanzierte Grundsicherung. Stattdessen amerikanisieren die Politiker aller Couleurs unseren Staat, wollen also einen Abbau der bestehenden sozialen Errungenschaften, von die Bürger der USA nur träumen können. Wenn diese Politik noch lange so weitergeführt wird, dann ist die Bundesrepublik Deutschland in sozialer Hinsicht bald auf dem Entwicklungsland-Niveau der USA angelangt, wo es kaum soziale Sicherungen gibt. Dieses Niveau dürfte für Viele wohl kaum erstrebenswert sein.

 

II.

Die eigentliche Rentenberechnung erfolgt nach einem für Nichtbetroffene kaum durchschaubaren Punktesystem. Wenn man seinen ersten Rentenbescheid erhalten hat, besteht die Möglichkeit des Widerspruches innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Bescheides. Doch die Fülle der Akten ist derart umfangreich und die Materie ist derart kompliziert, daß es für einen Normalbürger praktisch unmöglich ist, innerhalb der gesetzlichen Frist Widerspruch zu erheben. Also werden die Rentenbescheide in der Regel rechtskräftig und unanfechtbar. Wenn man sich schließlich endlich den notwendigen Durchblick verschafft hat, ist es für Einwendungen zu spät.

Bei späteren Änderungs- oder Erhöhungsbescheiden liest man dann in der obligatorischen Rechtsbehelfsbelehrung:

"Der Widerspruch kann sich nur gegen Sachverhalte richten, die erst mit diesem Bescheid neu festgestellt worden sind."

Mit dieser salvatorischen Klausel hat der Staat alle Ansprüche von Benachteiligten, die erst nach Fristablauf zu der Erkenntnis gekommen sind, daß sie vom Staat betrogen worden sind, von vornherein abgeschmettert.


Es soll hier versucht verden, in einigermaßen verständlicher Weise die bisherige Rentenformel zu erklären. Es gibt ein Punktesystem. Wenn jemand ein Jahreseinkommen (das Wort "verdient" klammere ich hier bewußt aus) hat, das genau dem Durchschnittseinkommen aller Versicherten entspricht, erhält der Versicherte einen Punkt für dieses Jahr. Die Anzahl der Punkte wird mit dem aktuellen Rentenwert multipliziert. Der aktuelle Rentenwert beträgt augenblicklich 25,86 €. Hat der Versicherte 40 Jahre lang gearbeitet und in jedem Jahr ein Einkommen erhalten, der genau dem Durchschnittseinkommen (= Bezugsgröße) entspricht, so hat er genau 40 Punkte. Seine Rente beträgt somit 40 x 25,86 €  = 1.034,40 € (ohne Berechnung von Ausfallzeiten und ohne Zuschüsse für Kranken- und Pflegeversicherung).

Die Ermittlung der jährlichen Punktezahl ist die Basis für alle Rentenansprüche des Versicherten. Kernstück dieses System ist also das "amtliche" Durchschnittseinkommen aller Versicherten. Die jährlichen Durchschnittseinkommen-Werte sind in Tabellen festgehalten.

Bezugsgröße nach § 12 Abs.1, Abs. 2 SGB IV
Jahr
Jahreseinkommen
alte Bundesländer
Jahreseinkommen
neue Bundesländer
1950
3.161,00 DM
 
     
1954
4.234,00 DM
 
     
1962
7.328,00 DM
 
1963
7.775,00 DM
 
1964
8.467,00 DM
 
1965
9.229,00 DM
 
1966
9.893,00 DM
 
1967
10.219,00 DM
 
1968
10.842,00 DM
 
1969
11.839,00 DM
 
1970
13.343,00 DM
 
1971
14.931,00 DM
 
 
Die Werte von 1972 bis 1976 liegen mir z.Zt. noch nicht vor 
 
1977
22.200,00 DM
 
1978
23.400,20 DM
 
1979
25.200,00 DM
 
1980
26.400,00 DM
 
1981
28.080,00 DM
 
1982
29.520,00 DM
 
1983
30.960,00 DM
 
1984
32.760,00 DM
 
1985
33.600,00 DM
 
1986
34.440,00 DM
 
1987
36.120,00 DM
 
1988
36.960,00 DM
 
1989
37.800,00 DM
 
1990
39.480,00 DM
4.153,00 DM
1991
40.320,00 DM
9.240,00/10.500,00 DM
1992
42.000.00 DM
25.200,00 DM
1993
44.520,00 DM
32.760,00 DM
1994
47.040,00 DM
36.960,00 DM
1995
48.720,00 DM
39.480,00 DM
1996
49.560,00 DM
42.000,00 DM
1997
51.240,00 DM
43.680,00 DM
1998
52.080,00 DM
43.680,00 DM
1999
52.920,00 DM
44.520,00 DM
2000
53.760,00 DM
43.680,00 DM
2001
53.760,00 DM
45.360,00 DM
2002
28.140,00 €
23.520,00 €
2003
28.560,00 €
23.940,00 €

Quelle: Eigener Rentenbescheid vom 10.3.1999 und offizielle Tabelle der Bezugswerte der Bundesversicherung für Angestellte

www.bfa.de

Um bei dem obigen Beispiel zu bleiben: wenn ein Arbeitnehmer im Jahre 2003 Rentner wird, 40 Jahre ununterbrochen gearbeitet hat und in jedem Jahr genau das Durchschnittseinkommen erhalten hat, hat er also 40 Punkte.

Jeder Punkt bedeutet z.Zt. (Sommer 2003) 25,68 € monatliche Rente. Ohne Berücksichtung von Ausfallzeiten für Ausbildung, Studium oder Wehrzeit beträgt die monatliche Rente somit 1.034,40 €.

Das letzte Monatseinkommen hätte in diesem Beispiel nach der obenstehenden amtlichen Tabelle 28.560,00 € : 12 = 2.380,00 € betragen. Der Neu-Rentner, der jetzt 1.034,40 € Rente erhält, bekäme also nur noch 43,46% seines letzten Lohns oder Gehalts. Will der Rentenempfänger seinen bisherigen Lebensstandard halten, müßten die fehlenden 56,54% aus anderen Quellen kommen. Er müßte eine zusätzliche private "Vorsorge" treffen, die weit über die Aufwendungen für die gesetzliche Rentenversicherung (BfA und LVAs) hinausginge. Das sind die Fakten.

Allein diese Zahlen dokumentieren den totalen Bankrott des bestehenden Rentensystems. Das System an sich funktioniert nicht mehr.

Doch es erhebt sich noch eine ganz andere Frage: Sind die in der obenstehenden Tabelle aufgeführten jährlichen "Bezugsgrößen" überhaupt zutreffend? Wenn man das Jahr 2001, in dem noch in DM gerechnet wurde, betrachtet, kommt man auf ein durchschnittliches (?) Monatseinkommen in Höhe von 4.480,00 DM. Und das als "Durchschnittswert"! Ein derartiger Wert ist absolut unglaubwürdig. Und das ist die wahre RENTENLÜGE!

Es ist nicht allzulange her, daß ein Skandal in Bundesanstalt für Arbeit im Zusammenhang mit manipulierten Arbeitslosenziffern publik wurde. Wer garantiert uns Bürgern, daß die "Durchschnittswerte" der Jahreseinkommen bei der Berechnung des "Rentenwertes" nicht ebenso manipuliert worden sind. Für das Vorliegen einer solchen Manipulation spricht die Tatsache, daß bereits jetzt - im Mai 2003 - die Bezugsgröße 28.560,00 € (bzw. 23.940,00 €) offiziell feststeht, obwohl das Jahr 2003 noch längst nicht vorbei ist. Es handelt sich bei der jährlichen "Bezugsgröße" ganz offensichtlich um Schätzungen. Je höher die "Bezugsgröße" angesetzt wird, um so niedriger fällt der "Punktwert" aus und umsomehr werden offensichtlich alle Rentner in der Bundesrepublik Deutschland betrogen.

Der Staat hat natürlich keinerlei Interesse daran, daß die wahren Zahlen bekannt werden, denn dann hätten alle Rentner einen Anspruch auf Neuberechnung ihrer Renten und auf Nachzahlung. Doch dann wäre der Staat mit einem Schlag pleite und könnte die Luxus-Pensionen für seine Beamten und Politiker nicht mehr zahlen. Also bleibt alles beim alten! Da sind sich SPD und CDU vollkommen einig. Es erhebt sich die Frage, warum sich SPD und CDU nicht auf der Stelle zu einer USUBPP - einer UNSOZIAL-UNDEMOKRATISCHEN BEAMTEN- und BERUFSPOLITIKER-PARTEI zusammenschließen. Dann könnte die gegenseitige Wahlkampfpropaganda (auf Kosten der Steuerzahler) eingestellt werden, und die eingesparten Millionen könnten sofort für die Erhöhung der Beamten- und Politikerbezüge und für eine kräftige "Aufbesserung" der Abgeordneten-Diäten eingesetzt werden.

 

III.

Trotz dieser offenkundigen Manipulationen zum Nachteil der Rentner ist das jetzige System nicht mehr finanzierbar. Irgendwann sind die Rentenkassen leer. Nun gibt es die sogenannte Rürup-Kommission, die die Aufgabe hat, Vorschläge zu machen, wie die Staatsausgaben reduziert werden können. Jetzt hat diese Kommission eine neue Rentenformel zur Niedrighaltung des Rentenwertes - also zur Reduzierung der Renten - vorgeschlagen, die in ihrer abstrakten Schönheit den geschätzten Lesern dieser Seiten nicht vorenthalten werden soll.

(Wird demnächst fortgesetzt; die Rürup-Rentenformel wird an dieser Stelle eingefügt)

 

IV.

Alles das, was hier aufgeführt worden ist, gilt natürlich nicht für Beamte. Beamte sind unkündbar, Beamte brauchen nichts in die Rentenkasse einzuzahlen, und Beamte bekommen eine Staats-Pension und keine Rente. Über die Kürzung von Beamten-Pensionen oder die Einführung einer Rürup-Pensionsformel zur Reduzierung der Staatsausgaben erfährt man nichts in den Medien.

Vom Beamtenbund - einer sehr einfluißreichen Gewerkschaft - hört man, daß im Verhältnis zur freien Wirtschaft die Beamten niedrigere Gehälter haben, nämlich 7%. Wenn man dann nachrechnet . . .

Ein einfacher (= nicht-verbeamteter) Bürger, der an einen freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat und an das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland glaubt, müßte sich doch irgendwann einmal die Frage stellen: Ist diese Sonderstellung der Beamten mit dem im Grundgesetz festgeschriebenen Gleichheitsgrundsatz vereinbar???

 


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