Der Weg zur Musenhöhle

2. Kapitel

Der Weg von wolkigen Höhen

In der realen Welt ist der Weg zur Musenhöhle sehr schwer zu finden. Die Musenhöhle ist auf keiner Landkarte und in keinem Atlas verzeichnet, aber es gibt sie dennoch. Man muß von einem bestimmten Ausgangspunkt kommen, von einem Ort, der im Musen-Atlas verzeichnet ist. Einer der Wege beginnt am Urd-Brunnen. An dessen Rand sitzen die Nornen Urd, Werdandi und Skuld und bestimmen die Schicksale der Menschen.

Gehör heisch ich  heiliger Sippen,
hoher und niederer   Heimdallssöhne:
du willst, Walvater,  daß ich wohl künde,
was alter Mären  der Menschen ich weiß.

Weiß von Riesen,  weiland gebornen,
die einstmals mich  auferzogen;
weiß neun Heime,  neun Weltreiche,
des hehren Weltbaums  Wurzeltiefen.

Urzeit war es,  da Ymir hauste;
nicht war Sand noch See  nach Salzwogen,
nicht Erde unten  noch oben Himmel,
Gähnung grundlos,  doch Gras nirgend.

Bis Burts Söhne  den Boden hoben,
sie, die Mittgart,  den mächtigen, schufen:
von Süden schien Sonne  aufs Saalgestein
grüne Gräser  im Grund wuchsen.

Im Süden die Sonne,  des Monds Gesell,
rührte mit den Rechten  den Rand des Himmels;
die Sonne kannte  ihre Säle nicht;
die Sterne kannten  ihre Stätte nicht;
der Mond kannte  seine Macht noch nicht.

Zum Richtstuhl gingen  die Rater alle,
heilige Götter,  und hielten Rat:
für Nacht und Neumond  wählten sie Namen,
benannten Morgen und Mittag auch,
Zwielicht und Abend,  die Zeit zu messen.

Die Asen eilten  zum Idafeld,
die Heiligtümer  hoch erbauten;
sie setzten Herde,  hämmerten Erz;
sie schlugen Zangen,  schufen Gerät.

Sie pflegten heiter  im Hof des Brettspiels -
nichts aus Golde  den Göttern fehlte - ,
bis drei gewaltige  Weiber kamen,
Töchter der Riesen,  aus Thursenheim.

Zum Richtstuhl gingen  die Rater alle,
heilige Götter,  und hielten Rat,
wer der Zwerge Schar  schaffen sollte
aus Brimirs Blut  und Blains Knochen.

Motsognir ward der  mächtigste da
aller Zwerge,  der zweite Durin;
die machten manche  menschenähnlich,
wie Durin es hieß,  die Höhlenzwerge.

Bis drei Asen  aus dieser Schar,
stark und gnädig,  zum Strand kamen:
sie fanden am Land,  ledig der Kraft,
Ask und Embla,  ohne Schicksal.

Nicht hatten sie Seele,  nicht hatten sie Sinn,
nicht Lebenswärme  noch lichte Farbe;
Seele gab Odin,  Sinn gab Hönir,
Leben gab Lodur  und lichte Farbe.

Eine Esche weiß ich,   sie heißt Yggdrasil,
die hohe, umhüllt   von hellen Nebel;
von dort kommt der Tau,   der in Täler fällt
immergrün steht sie   am Urdbrunnen.

Von dort kommen Frauen,   vielkundige
drei, aus dem Born,  der beim Baume liegt;
Urd hieß man die eine,  die andere Werdandi -
sie schnitten ins Scheit -,   Skuld die dritte;
Lose lenkten sie,  Leben koren sie
Menschenkindern,  Männergeschick.

Da kam zuerst  Krieg in die Welt,
als Götter Gullweig  mit Geren stießen
und in Heervaters  Halle brannten,
dreimal brannten,  die dreimal geborene.

Man hieß sie Heid,  wo ins Haus sie kam,
das weise Weib, sie wußte Künste:
sie behexte Kluge,  sie behexte Toren;
immer ehrten sie arge Frauen.

Zum Richtstuhl gingen  die Rater alle,
heilige Götter, und hielten Rat,
ob Zins die Asen  zahlen sollten
oder alle Götter  Opfer haben.

Den Ger warf Odin  ins Gegnerheer:
der erste Krieg  kam in die Welt;
es brach der Bordwall  der Burg der Asen,
es stampften Wanen  streitkühn die Flur.

Zum Richtstuhl gingen  die Rater alle,
heilige Götter,  und hielten Rat,
wer ganz die Luft  mit Gift erfüllt,
Ods Braut verraten  Riesensöhnen.

Nur Thor schlug zu, zorngeschwollen:
selten sitzt er,  wenn solches er hört;
da wankten Vertrag,  Wort und Treuschwur,
alle Eide,  die sie ausgetauscht.

Ich weiß Heimdalls  Horn verborgen
unterm heilgen  Himmelsbaume;
Flut seh ich fallen  in feuchtem Sturz
aus Walvaters Pfand,  wißt ihr noch mehr?

Saß einsam draußen,  als der Alte kam,
der furchtbare Ase,  und ins Aug mir sah:
Was fragst du mich?  Was forschst du bei mir?
Ich weiß, Odin,  wo dein Auge du bargst.

Ich weiß Odins  Auge verborgen
in Mimirs Quell,  dem märenreichen;
Met trinkt Mimir  allmorgendlich
aus Walvaters Pfand - wißt ihr noch mehr?

Halsschmuck und Ringe  gab Heervater
für Zukunftwissen  und Zauberkunde:
weit sah ich, weit,  die Welten alle.

Ich sah Balder,  dem blutenden Gott,
Odins Sohne,  Unheil bestimmt:
ob der Ebne  stand aufgewachsen
der Zweig der Mistel,  zart und schön.

Ihm ward der Zweig,  der zart erschien,
zum herben Harmpfeil:   Hödur schoß ihn;
und Frigg weinte  in den Fensälen
um Walhalls Weh - wißt ihr noch mehr?

Geknebelt sah ich  im Quellenwald
den Leib Lokis,  des listenreichen.
Da sitzt Sigyn,  ihr Gesell bringt ihr
wenig Wonne - wißt ihr noch mehr?

Durch Gifttäler gleitet von Osten
mit Schneiden und Schwertern  der Schreckensturm.

Im Norden stand  auf dem Nachtfelde
für Sindris Sippe  ein Saal aus Gold;
ein andrer hob sich  auf heißem Grund,
der Biersaal des Riesen,  der Brimir heißt.

Einen Saal sah ich,  der Sonne fern
am Totenstrand,  das Tor nach Norden:
tropfendes Gift  träuft durch das Dach;
die Wände sind  aus Wurmleibern.

Dort sah ich waten  durch Sumpfströme
Meineidige  und Mordtäter;
dort sog Nidhögg  entseelte Leiber,
der Wolf riß Leichen - wißt ihr noch mehr?

Eine Alte östlich  im Erzwald saß;
die Brut Fenrirs  gebar sie dort.
Von ihnen allen  wird einer dann
des Taglichts Töter,  trollgestaltet.

Es füllt sich mit Fleisch  gefallner Männer,
rötet mit Blut  der Rater Sitz.
Schwarz wird die Sonne  die Sommer drauf;
Wetter wüten - wißt ihr noch mehr?

Dort saß auf dem Hügel  und schlug die Harfe
der Riesin Hüter,  der heitere < a href="eddalexikon.htm#eggdir" target="blank">Eggdir;
es krähte bei ihm  im Kiefernbusch
der feuerrote Hahn,  der Fjalar heißt.

Doch Güldenkamm  bei den Göttern kräht:
er weckt die Helden  bei Heervater;
unter der Erde ein andrer kräht,
in Hels Halle, ein braunroter Hahn.

Gellend heult Garm  vor Gnipahellir:
es reißt die Fessel,  es rennt der Wolf.
Vieles weiß ich,  fernes schau ich:
der Rater Schicksal,  der Schlachtgötter Sturz.

Brüder kämpfen  und bringen sich Tod,
Brudersöhne  brechen die Sippe;
arg ist die Welt,  Ehbruch furchtbar.
Schwertzeit, Beilzeit,  Schilde bersten,
Windzeit, Wolfzeit,  bis die Welt vergeht -
nicht einer will   des andern schonen.

Es gärt bei den Riesen;  des Gjallarhorns,
des alten, Klang  kündet das Ende.
Hell bläst Heimdall,  das Horn ragt auf;
Odin murmelt  mit Mimirs Haupt.

Yggdrasils Stamm  steht erzitternd,
es rauscht der Baumgreis;  der Riese kommt los.
Alles erbebt  in der Unterwelt,
bis der Bruder Surts  den Baum verschlingt.

Was gibts bei den Asen?  Was gibts bei den Alben?
Riesenheim rast;  beim Rat sind die Götter.
Vor Steintoren  stöhnen Zwerge,
die Weisen der Felswand - wißt ihr noch mehr?

Gellend heult Garm  vor Gnipahellir:
es reißt die Fessel,  es rennt der Wolf.
Vieles weiß ich,  fernes schau ich:
der Rater Schicksal,  der Schlachtgötter Sturz.

Hrym fährt von Osten,  er hebt den Schild;
im Riesenzorn  rast die Schlange.
Sie schlägt die Wellen,  es schreit der Aar,
Leichen reißt er;  los kommt Nagelfar.

Der Kiel fährt von Osten:  es kommen Muspells
Leute zum Land;  Loki steuert.
Mit dem Wolfe zieht  die wilde Schar;
Byleipts Bruder  bringen sie mit.

Surt zieht von Süden  mit sengender Glut;
von der Götter Schwert  gleißt die Sonne.
Riesinnen fallen,  Felsen brechen;
zur Hel ziehn Männer, der Himmel birst.

Dann naht neue  Not der Göttin,
wenn wider den Wolf  Walvater zieht
und gegen Surt  der sonnige Freyr:
fallen muß da  Friggs Geliebter.

Der starke Sohn   Siegvaters kommt,
Widar, zum Kampf  mit dem Waltiere:
es stößt seine Hand  den Stahl ins Herz
dem Riesensohn;  so rächt er Odin.

Der hehre Sproß  der Hlodyn naht.
Der Lande Gürtel  gähnt zum Himmel:
Gluten sprüht er,  und Gift speit er:
entgegen geht  der Gott dem Wurm.

Der Erde Schirmer  schlägt ihn voll Zorn -
die Menschen müssen   Mittgart räumen - ;
weg geht wankend  vom Wurm neun Schritt,
der Gefecht nicht floh,  der Fjörgin Sohn.

Die Sonne verlischt,  das Land sinkt ins Meer:
vom Himmel stürzen  die heitern Sterne.
Lohe umtost  den Lebensnährer;
hohe Hitze  steigt himmelan.

Gellend heult Garm  vor Gnipahellir:
es reißt die Fessel,  es heult der Wolf.
Vieles weiß ich,  fernes schau ich:
der Rater Schicksal,  der Schlachtgötter Sturz.

Seh aufsteigen  zum andern Male
Land aus Fluten,  frisch ergrünend;
Fälle schäumen;  es schwebt der Aar,
der auf dem Felsen  Fische weidet.

Bei dem Idafeld  die Asen sich finden
und reden dort  vom riesigen Wurm
und denken da  der großen Dinge
und alter Runen  der Raterfürsten.

Wieder werden  die wundersamen
goldnen Tafeln  im Gras sich finden,
die vor Urtagen  ihr Eigen waren.

Unbesät werden  Äcker tragen;
böses wird besser:  Balder kehrt heim;
Hödur und Balder  hausen im Sieghof,
froh, die Walgötter - wißt ihr noch mehr?

Den Loszweig heben  wird Hönir dann;
es birgt beider  Brüder Söhne
das weite Windheim - wißt ihr noch mehr?

Einen Saal seh ich,  sonnenglänzend,
mit Gold gedeckt,  zu Gimle stehn:
wohnen werden  dort wackre Scharen,
der Freuden walten  in fernste Zeit.

Der düstre Drache  tief drunten fliegt,
die schillernde Schlange,  aus Schlachtendunkel.
Er fliegt übers Feld;  im Fittich trägt
Nidhögg die Toten:  nun versinkt er.

Quelle: Die ältere Edda: Erstes Lied "Völuspá"  (Der Seherin Gesicht),
aus dem Altnordischen übertragen von Felix Genzmer.
Eugen Diederichs Verlag,  Jena 1933



Die Ähnlichkeiten zwischen diesen Versen aus der Edda und den ungefähr 1000 Jahre älteren untenstehenden Versen sind verblüffend:

Und ich sah einen Engel vom Himmel fahren,
der hatte den Schlüssel zum Abgrund und eine große Kette in seiner Hand.

 Und er griff den Drachen, die alte Schlange,
welcher ist der Teufel und Satan,
und band ihn tausend Jahre,

und warf ihn in den Abgrund, und verschloß ihn,
und versiegelte oben darauf,
daß er nicht mehr verführen solle die Heiden,
bis daß vollendet würden tausend Jahre;
und danach muß er loswerden eine kleine Zeit.

Und der Tod und die Hölle wurden geworfen in den feurigen Pfuhl.
Das ist der andere Tod.

Quelle: Offenbarung 20, 1-3, 14


Wie man sieht, ist es vom Urd-Brunnen bis zum Heiligen Land eigentlich garnicht so weit.

 

Der Weg führt dann vom Urd-Brunnen durch wolkige Höhen an den Überresten der Weltesche Yggdrasil vorbei.

Von dort aus ist es nicht mehr weit bis zu den Trümmern von Walhall.

Von dort aus gelangt man von wolkigen Höhen herab auf einen Weg, der auf der Erde rauhen Rücken führt. Dort kommt man an einer Schwefelkluft vorbei, die zu einer riesigen Höhle führt, die Nibelheim genannt wird. Dort herrschte Alberich, das Oberhaupt der Nibelungen. Er hatte den Rheintöchtern das Rheingold entwendet, indem er die Liebe verfluchte:

Der Welt Erbe
gewänn' ich zu eigen durch dich?
Erzwäng' ich nicht Liebe,
doch listig erzwäng' ich mir Lust?
Spottet nur zu,
der Niblung naht eurem Spiel!

Bangt euch noch nicht?
So buhlt nun im Finstern, feuchtes Gezücht!
Das Licht lösch' ich euch aus;
entreiße dem Riff das Gold,
schmiede den rächenden Ring;
dann hör' es die Flut: so verfluch' ich die Liebe!


Wie angekündigt, schuf er sich einen Ring, der ihm ungeheure Macht verlieh. Er zwang sein Volk - die Nibelungen -, pausenlos Gold zu schmieden und zwang seinen Bruder Mime, ihm einen Tarnhelm zu schmieden, um gegen alle Angriffe gefeit zu sein:

Den hehlenden Helm ersann ich mir selbst;
der sorglichste Schmied,
Mime, mußt' ihn mir schmieden;
schnell mich zu wandeln nach meinem Wunsch,
die Gestalt mir zu tauschen, taugt der Helm.
Niemand sieht mich, wenn er mich sucht;
doch überall bin ich, geborgen dem Blick.

Doch in Überschätzung seiner Macht und seines Wissens ließ sich Alberich von Loge/Loki - dem Gott der Bosheit und des Unheils - verleiten, sich mit Hilfe dieses Tarnhelms in eine unscheinbare und ausgezeichnet getarnte Kröte zu verwandeln:

Loge:
Doch, wie du wuchsest,
kannst du auch winzig
und klein dich schaffen?
Das Klügste schien mir das,
Gefahren schlau zu entfliehn:
Das aber dünkt mich zu schwer!

Alberich:
Zu schwer dir, weil du zu dumm!
Wie klein soll ich sein?

Loge:
Daß die feinste Klinze dich fasse,
wo bang die Kröte sich birgt.

Alberich:
Pah, nichts leichter! Luge du her!
"Krumm und grau krieche Kröte!"



Loge (zu Wotan):
Dort die Kröte, greife sie rasch!




Wotan griff die Kröte, hatte den Tarnhelm in der Hand - und Alberich war somit gefangen und in der Götter Macht. Und die Götter rissen Alberichs Ring und den Tarnhelm - die Symbole für Reichtum und Macht - an sich.

Dann wurde Alberich von Wotan und Loge wieder freigelassen. Und Alberich sprach einen furchtbaren Fluch aus:

Bin ich nun frei? Wirklich frei?
So grüß euch denn
meiner Freiheit erster Gruß!
Wie durch Fluch er mir geriet,
verflucht sei dieser Ring!
Gab sein Gold mir Macht ohne Maß,
nun zeug' sein Zauber Tod dem, der ihn trägt!
Kein Froher soll seiner sich freuen;
keinem Glücklichen lache sein lichter Glanz!
Wer ihn besitzt, den sehre die Sorge,
und wer ihn nicht besitzt, den nage der Neid!
Jeder giere nach seinem Gut,
doch keiner genieße mit Nutzen sein!
Ohne Wucher hüt' ihn sein Herr,
doch den Würger zieh' er ihm zu!
Dem Tode verfallen fessle den Feigen die Furcht;
so lang er lebt, sterb er lechzend dahin,
des Ringes Herr als des Ringes Knecht:
bis in meiner Hand den Geraubten wieder ich halte!
So segnet in höchster Not
der Nibelung seinen Ring!
Behalt ihn nun, hüte ihn wohl,
meinem Fluch fliehest du nicht!

Quelle: Richard Wagner: "Der Ring des Nibelungen", Vorabend "Das Rheingold", 4. Szene

Dieser Fluch hat bis heute nichts von seiner Aktualität verloren und wirkt täglich weiter, bis zum Ende der Menschheit.

Die sogenannte "Bankenkrise" ist das Resultat einer maßlosen Raffgier der Banker zu Lasten der "normalen" Bevölkerung.

Wenn man weiterwandert, gelangt man in die Nähe eines Landes mit dem Namen Avalon. Dort ist es immer neblig, und keiner, der dieses Land betreten hat, ist jemals wieder zurückgekommen. Man meide also dieses Nebel-Land. Wie es von dieser Gegend weitergeht, ist im nächsten Kapitel nachzulesen.

 

Nachzutragen ist noch, daß Alberich die Götterdämmerung - "Ragnarök" in der Edda - als Einziger überstanden hat.

Zwar wurde er von den Rheintöchtern in die Tiefe gezogen, doch Alberich konnte sich auch unter Wasser ganz gut bewegen, wie die folgenden Zeilen belegen:

Garstig glatter glitschiger Glimmer!
Wie gleit' ich aus! Mit Händen und Füßen
nicht fasse noch halt' ich das schlecke Geschlüpfer!
Feuchtes Naß füllt mir die Nase:
verfluchtes Niesen!


Im Sommer verwandelt sich Alberich mitunter wieder in einen unscheinbaren Kröterich und wohnt für ein paar Wochen auf dem Grundstück der Musenhöhle. So entstanden auch diese Fotos.






Verschiedene Lieder der Edda, die neben den Geschichten und Gleichnissen in der Bibel zum Größten der Weltliteratur gehören, sind von Richard Wagner in seinem Zyklus "Der Ring des Nibelungen" in genialer Weise zusammengefaßt und weitergedichtet worden. Aus seiner "Götterdämmerung" sei hier die Schlüsselszene zitiert, die eine sehr konzentrierte Zusammenfassung der Inhaltes des Gedichtes "Völuspaa", der "Völsunga-Saga", und des älteren Nibelungenliedes ist. Es ist die sich immer wiederholende Geschichte vom Werden und Vergehen einer Gesellschaftsordnung:



Auf dem Walkürenfelsen


Nacht. Aus der Tiefe des Hintergrundes leuchtet
Feuerschein auf.

DiE DREI NORNEN

Hohe Frauengestalten in langen dunklen
und schleierartigen Faltengewändern. Die erste (älteste)
lagert im Vordergrund rechts unter der breitästigen
Tanne; die zweite (jüngere) ist an einer Steinbank
vor dem Felsengemach hingestreckt; die dritte
(jüngste) sitzt in der Mitte des Hintergrundes auf
einem Felssteine des Höhlensaumes. Düsteres
Schweigen und Bewegungslosigkeit.



DIE ERSTE NORN:
(ohne sich zu bewegen)
Welch Licht leuchtet dort?

DIE ZWEITE NORN:
Dämmert der Tag schon herauf?

DIE DRITTE NORN:
Loges Heer
lodert feurig um den Fels.
Noch ist's Nacht.
Was spinnen und singen wir nicht?

DIE ZWEITE NORN:
(zur ersten)

Wollen wir spinnen und singen,
woran spannst du das Seil?

DIE ERSTE NORN:
(während sie ein goldenes Seil von sich löst
und mit dem einen Ende es an einen Ast der Tanne knüpft):

So gut und schlimm es geh',
schling ich das Seil und singe. -
An der Weltesche wob ich einst,
da groß und stark
dem Stamm entgrünte
weihlicher Äste Wald.
Im kühlen Schatten
rauscht' ein Quell:
Weisheit raunen
rann sein Gewell -
da sang ich heiligen Sinn.
Ein kühner Gott
trat zum Trunk an den Quell;
seiner Augen eines
zahlt' er als ewigen Zoll:
Von der Weltesche
brach da Wotan einen Ast;
Eines Speeres Schaft
entschnitt der Starke dem Stamm.
In langer Zeiten Lauf
zehrte die Wunde den Wald;
falb fielen die Blätter,
dürr darbte der Baum:
Traurig versiegte
des Quelles Trank;
trüben Sinnes
ward mein Gesang.
Doch web' ich heut
an der Weltesche nicht mehr,
muß mir die Tanne
taugen, zu fesseln das Seil:
Singe, Schwester,
- dir werf' ich's zu -
Weißt du, wie das wird?

DIE ZWEITE NORN:
(während sie das zugeworfene Seil um einen
hervorspringenden Felsstein windet)

Treu beratner  Verträge Runen
Schnitt Wotan  in des Speeres Schaft:
Den hielt er  als Haft der Welt.
Ein kühner Held
zerhieb im Kampfe den Speer;
In Trümmer sprang
der Verträge heiliger Haft.
Da hieß Wotan  Walhalls Helden
der Weltesche  welkes Gerüst
mit dem Stamm in Stücke zu fällen:
Die Esche sank;
ewig versiegte der Quell.
Feßle ich heut
an den scharfen Stein das Seil:
Singe, Schwester,
- dir werf' ich's zu -
Weißt du, wie das wird?


DIE DRITTE NORN:
(das Seil empfangend und hinter sich werfend)

Es ragt die Burg,
von Riesen gebaut:
Mit der Götter und Helden
heiliger Sippe
sitzt dort Wotan im Saal.
Gehau'ner Scheite  hohe Schicht
ragt zuhauf  rings um die Halle:
Die Weltesche war dies einst!
Brennt das Holz
heilig brünstig und hell,
Sengt die Glut
sehrend den glänzenden Saal,
der ewigen Götter Ende
dämmert ewig da auf.
Wisset ihr noch?
So windet von neuem das Seil:
Von Norden wieder
werf' ich's dir nach:
Spinne, Schwester, und singe!

(sie hat das Seil der zweiten, diese es wieder der ersten Norne zugeworfen)


DIE ERSTE NORN:
(löst das Seil vom Zweige und knüpft es während des folgenden Gesanges
wieder an einen anderen Ast)

Dämmert der Tag?
Oder leuchtet die Lohe?
Getrübt trügt sich mein Blick;
nicht hell eracht' ich  das heilig Alte,
da Loge einst
brannte in lichter Glut.
Weißt du, was aus ihm ward?

DIE ZWEITE NORN:
(das zugeworfene Seil wieder um den Stein windend)

Durch des Speeres Zauber
zähmte in Wotan;
Räte raunt' er dem Gott:
An des Schaftes Runen,
frei sich zu raten,
nagte zehrend sein Zorn.
Da mit des Speeres
zwingender Spitze
bannte ihn Wotan,
Brünnhildes Fels zu umbrennen.
Weißt du, was aus ihm wird?

DIE DRITTE NORN:
(das zugeworfene Seil wieder hinter sich werfend)

Des zerschlagnen Speeres
stechende Splitter
taucht einst Wotan
dem Brünstigen tief in die Brust:
Zehrender Brand
zündet da auf;
den wirft der Gott
in der Weltesche
zuhauf geschichte Scheite. -
Wollt ihr wissen,
wann das wird?
Schwinget, Schwestern, das Seil!

(sie wirft das Seil der zweiten, diese es wieder der ersten zu)

DIE ERSTE NORN:
(das Seil von neuem anknüpfend)

Die Nacht weicht,
nichts mehr gewahr' ich:
Des Seiles Fäden
find' ich nicht mehr;
verflochten ist das Geflecht.
Ein wüstes Gesicht
wirrt mir wütend den Sinn: -
Das Rheingold
raubte Alberich einst:
Weiß du, was aus ihm ward?

DIE ZWEITE NORN:
(mit mühevoller Hast das Seil um den Stein windend)
Des Steines Schärfe
schnitt in das Seil;
nicht fest spannt mehr
der Fäden Gespinst:
Verwirrt ist das Geweb'.
Aus Neid und Not
nagt mir des Niblungen Ring:
Ein rächender Fluch
nagt meiner Fäden Geflecht.
Weißt du, was daraus wird?

DIE DRITTE NORN:
(das zugeworfene Seil hastig fassend)
Zu locker das Seil!
Mir langt es nicht:
Soll ich nach Norden
neigen das Ende,
Straffer sei es gestreckt!

(Sie zieht gewaltsam das Seil an; es reißt in der Mitte)

DIE ZWEITE:
Es riß!

DIE DRITTE:
Es riß!

DIE ERSTE:
Es riß!

(Erschreckt sind die drei Nornen aufgefahren
und nach der Mitte zusammengetreten;
sie fassen die Stücken des zerrissenen Seiles
und binden damit ihre Leiber aneinander)


DIE DREI NORNEN:
Zu End' ewiges Wissen!
Der Welt melden
Weise nichts mehr:
Hinab zur Mutter, hinab!

(Sie verschwinden)


Wir müssen jetzt die Welt der alten germanischen Götter fluchtartig verlassen, da Wotan, der oberste Gott, selbst sein Ende will und den Weltenbrand entfacht, der die alte Welt vernichtet. Nur die Menschen überleben. Und deshalb führt der Weg zur Musenhöhle nunmehr auf dem rauhen Rücken der Erde, zwischen Menschen und Geistern, weiter.