Im Spreewald

Unsere Sachen waren jetzt alle an unserem neuen Wohnort. Doch es war das reinste Chaos. Wir mußten erst einmal einige Schränke zusammenbauen, damit wir Kleidungsstücke, Küchengeschirr usw. unterbringen konnten. Doch die Schrankteile waren überall verstreut, obwohl wir beim Auf- und Entladen darauf geachtet hatten, daß zusammengehörige Teile auch zusammen bleiben. Es war einfach zu viel, und wir hatten nicht genug Räume. Trotzdem mußte begonnen werden. Aber wir wußten nicht, wo wir zuerst anfangen sollten. Wir hatten weder fließendes Wasser noch einen funktionierenden Abfluß in unserem alten Bauernhaus. Wir hatten keine Kochgelegenheit außer einem Küchengrill. Also mußten wir uns wochenlang von Gerichten ernähren, die in einem Grill zubereitet werden konnten. Nach einer Weile konnten wir Grillhähnchen und Pommes frites nicht mehr riechen.

Wir hatten weder einen Stromanschluß für unseren Elektroherd noch hatten wir einen Wasser- und Abwasser-Anschluß. Also mußten hier erst einmal die Voraussetzungen für ein halbwegs vernünftiges Wohnen geschaffen werden: die (vorhandene aber abgesperrte) Trinkwasserleitung mußte instandgesetzt und der Abfluß, der in eine gemauerte Sickergrube hinter dem Bauernhaus führt, freigemacht werden.

Als die allerwichtigsten Arbeiten volbracht waren, konnten wir uns unsere Hunde bringen lassen. Die Freude sowohl bei den Hunden als auch bei uns war riesig. Doch der Aufenthalt in der Schorfheide hatte uns immerhin etwa 5.000,- DM gekostet, und wir hatten einen wertvollen Rüden verloren. Aber dafür hatten wir jetzt drei Kinder von ihm: Fafner, Freia und Fricka.

Jetzt mußten wir unsere Möbel und sonstigen Gegenstände, die sich größtenteils noch in Verpackungskartons befanden, aus dem benachbarten Ladenhaus, in dem sich einmal der Dorfkonsum befand, herausholen, denn der Grundstückseigentümer wollte das Ladenhaus verpachten. Wir hätten das Ladenhaus gern selbst genommen, aber der Grundstückseigentümer wollte von uns dafür monatlich DM 1.000,- haben. Das wären dann zusammen DM 1.500,- gewesen. Nachdem einige wenige Interessenten aufgetaucht und wieder verschwunden waren, stellte der Grundstücksinhaber an uns das Ansinnen, auf ein Stück des von uns gepachteten Grundstücks zu verzichten, damit neue Mieter oder Pächter auch ein Stück Garten zur Verfügung hätten. Offensichtlich hatte das Fehlen von Gartenland neben dem Haus die Interessenten abgeschreckt. Um des lieben Friedens willen gaben wir nach und traten ein Stück ab. Dafür erhielten wir einen Miet-/Pachtnachlaß von DM 100,- sodaß wir also nur noch DM 400,- monatlich zu zahlen hatten.

Dann kamen zwei Leute, die sich offensichtlich ernsthaft für das Objekt interessierten. Der Mann sollte eine große Gärtnerei in der Nähe von Zossen besitzen oder besessen haben, und die Frau sollte auch etwas mit Blumen zu tun haben. Bei dem Vertragsabschluß gab es erst einmal eine große Besäufnis, und dann waren die neuen Mieter gleich mit dem Grundstückseigentümer per Du.

Die neuen Mieter oder Pächter zogen dann im Dezember 1991 ein. Und da gab es auch gleich Differenzen. Die neuen Bewohner erhoben Anspruch auf das etwas weiter hinten auf dem von uns gepachteten Grundstück befindliche Wasch- und Garagenhaus, in dem wir unsere auseinandergenommenen Möbel, unsere Druckeinrichtung und unsere beiden Flügel untergebracht hatten. Das ging auf keinen Fall. Also wurde der Grundstückseigentümer herbeigerufen, und es wurde geklärt, daß laut Pachtvertrag das Wasch- und Garagenhaus zu unserem Objekt gehört.

Was uns nicht gefiel, war die Tatsache, daß die neuen Mieter immer quer über den von uns gepachteten Grundstücksteil liefen, wenn sie zu dem Grundstückseigentümer wollten. Dann tauchte plötzlich eine Tochter der neuen Mieterin auf, eine gewisse Nicole. Sie brachte einen riesigen Hund von der Art eines Bernhardiners mit, der Löffel genannt wurde. Dieser Löffel spazierte ebenfalls ungeniert über unser Grundstück und fraß einmal das Futter für unsere eigenen Hunde auf, als wir die volle Tüte versehentlich draußen liegen ließen. Wir errichteten dann schnellstens einen Zaun zwischen unserem Grundstück und dem abgetretenen Teil, das nun zum Miet- oder Pachtobjekt der neuen Nachbarn gehörte.

Etwas später raffte sich auch der Grundstückseigentümer auf und errichtete einen Zaun zwischen dem von uns gepachteten Teil des Grundstücks und dem Teil, den er selber behalten hatte. Er baute auch ein Tor ein, damit man mit einem Auto von seinem Grundstück auf unser Grundstück gelangen konnte. Als dieser neue Zaun fertig war, mußten wir feststellen, daß noch vieles abgedichtet werden mußte, damit sich unsere Hunde nicht durchgraben konnten. Wir besorgten uns also engmaschiges sogenanntes Kaninchenstall-Geflecht und dichteten den gesamten Zaun rund um unseren Grundstücksteil ab. Und dann kam der große Tag, an dem wir die Hunde erstmals auf das große Grundstück lassen konnten. Die Meute rannte in großen Kreisen über das Gelände. Aber einigen war das offensichtlich nicht genug. Brangäne und Erda entdeckten, daß zwischen dem neuen Tor und dem Erdboden noch ein kleiner Abstand war. Sie fingen an an, zu graben. Ich kam dazu, als sich beide gerade unter dem Tor hindurchzwängten und dann über das Grundstück des Eigentümers auf die Straße rannten. Ich konnte nur noch sehen, daß auf der Straße beide Hunde nach rechts abbogen.

Ich griff mein Fahrrad, scheuchte die anderen Hunde zurück, schloß das Tor hinter mir und fuhr den Ausreißerinnen nach. Sie waren schon mindestens 200 Meter auf der Straße in Richtung Lübben (bzw. in Richtung Berlin) entlanggerannt. Da sah ich, wie ein Transporter hinten um die Ecke bog und auf die Hunde zufuhr. Ich fuhr dem ankommenden Wagen so schnell wie möglich auf der linken Straßenseite entgegen, sprang dann ab und bedeutete mit ausgebreiteten Armen dem Fahrer, zu halten. Der Fahrer, der dann wohl auch die Hunde gesehen hatte, hielt glücklicherweise auch gleich an, ehe die Hunde an seinem Wagen waren. Ich strampelte dann wieder den Hunden hinterher und hatte sie kurz vor der Kurve erreicht. Sie bekamen einen Schreck und rannten dann nach rechts in den Wald. Ich sprang ab und rannte ihnen nach. Als ich Brangäne erreichte, blieb auch Erda stehen und kam zu mir. Da ich keine Leinen bei mir hatte, nahm ich die beiden Hunde hoch und trug sie dann die ganze Strecke zurück unter meinen Armen. Der Grundstücksinhaber, der gesehen hatte, was passiert war, fuhr mich dann in seinem Trabbi bis zu der Stelle, wo noch mein Fahrrad lag, und dann strampelte ich wieder den Weg - es war etwa 1 Kilometer - zurück. Um eine Wiederholung zu verhindern, verbarrikadierte ich dann die Ausbruchstelle mit schweren Kalksteinen.

Mit unseren Möbeln und dem Inhalt der Möbel, der in einer unzähligen Anzahl Unzugskartons lagerten, hatten wir riesige Probleme. Ein Teil unseres Umzugsgutes stand im Freien, nur durch eine dicke Plane geschützt. Der Dachboden des Bauernhauses war nur unter Lebensgefahr betretbar. Über den dicken Querbalken lagen nur einige lose Bretter, die auch noch von den Holzwürmern zerfressen waren. Nur auf diesen Brettern konnte man von Querbalken zu Querbalken balancieren. Abrutschen oder daneben treten durfte man nicht, denn sonst wäre man mit dem Fuß durch die Decke der darunter befindlichen Wohnräume gekommen.

Ich besorgte mir für ungefähr DM 1.000,- Hobeldielen und begann, den Dachboden mit Dielen zu belegen. Das dauerte Wochen und Monate. So konnten wir wenigsten etwas unterbringen.

Der erste Winter im neuen Domizil war schlimm. Nur in einem einzigen Raume, dem kleinen Wohnzimmer mit den beiden Fenstern zur Straße, befand sich ein Kachelofen. In den anderen Räumen gab es keine Heizmöglichkeit. Entweder waren die Öfen abgerissen worden oder es waren noch nie welche vorhanden. Die meisten unserer Hunde hatten wir in der großen Veranda an der Rückseite des Hauses untergebracht. Wir richteten die Veranda als Küche ein, denn die echte Küche des Bauernhauses war viel zu klein für unsere Küchenmöbel. Wir heizten dann mit dem Elektroherd. Unsere Stromrechnung hatte eine astronomische Höhe. Bis zum nächsten Winter mußte eine andere Lösung gefunden werden.

Unser Nachbar - der Grundstückseigentümer - hatte in seinem Hause eine Etagen-Zentralheizung mit 21 kW Heizleistung, Fabrikat VEB Technische Gebräudeausstattung Forst (Lausitz), im allgemeinen kurz "Forster Heizung" genannt. Der Kessel war für Feuerung mit Braunkohlenbriketts konzipiert. Damals - kurz nach der "Wende" - ließen sich viele Häuschen-Besitzer Gasthermen-Heizungen einbauten. Die alten Forster Kessel, Rohre und Heizkörper wurden zuim Verkauf angeboten oder landeten manchmal auch gleich im Schrott. Ich inserierte in einem der hier erscheinenden Lokalblättchen und bekam auch prompt mehrere Angebote für komplette "Forster" Heizungsanlagen. Der Einbau dauerte bis in den Herbst 1992. Dann wurde es überall warm.

Bei unserer Wohnungssuche im Sommer 1991 sahen wir - besonders in den Neubaugebieten von Berlin-Marzahn und Hellersdorf, aber auch in Hohenschönhausen - einen offensichtlich genormten Typ von Baubaracken. So eine Baracke wäre natürlich die Lösung für unsere Platz-Probleme. Ich sprach mit dem Grundstückseigentümer über unser Problem; es hatte gegen eine Aufstellung auf dem von uns gepachteten Grundstücksteil nichts dagegen.

Ich sah mich in der Gegend um und durchforschte auch die Kleinanzeigen in den Lokalblättchen. Ich wurde fündig: Entlang der Bahnstrecke von Teltow nach Großbeeren standen mehrere solcher Baracken zum Verkauf. Jede Baracke bestand aus sechs aneinandergeschraubten Raumzellen von je 8,5 m Länge und 2,5 m Breite. Die Raumzellen hatten Isolierglasfenster; unter jedem Fenster befand sich ein Platten-Heizkörper Marke "Forster". Am liebsten hätte ich eine ganze Baracke gekauft, aber dafür reichte der Platz auf dem Grundstück nicht aus. Also kaufte ich nur eine halbe - aus drei Raumzellen bestehende - Baracke.

Die folgenden Wochen waren damit ausgefüllt, daß ich die Rohr- und Schraubverbindungen zwischen den einzelnen Raumzellen löste. Auch mußten die elektrischen Leitungen zwischen den Zellen getrennt werden. Und schließlich mußte auf dem Grundstück das Erdreich planiert werden, damit die Betonplatten, die als Fundament für die Raumzellen dienten, ausgelegt werden konnten.

Endlich war es soweit. Mit einem Kran und drei Tiefladern wurde der Transport bewältigt. Mit dem Kran wurden erst die Betonplatten ausgelegt. Dann wurden die drei Raumzellen nacheinander mit dem Kran über die beiden an der Straße stehenden Häuser nach hinten auf das Grundstück gehievt.

Der Transport der Raumzellen hatte das Vierfache des Kaufpreises für die Raumzellen gekostet.

 

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Ein Erlebnis werde ich ich niemals vergessen. Damals machte ich noch die Buchführung eines in Berlin residierenden und einstmals sehr erfolgreichen Handelsvertreters, der in der Zeit, als es noch eine Mauer gab, von der Vermittelung des Verkaufs ganzer Industrieanlagen in die damalige DDR lebte. Die Kaufsummen waren märchenhaft und die Provisionen dementsprechend. Ich mußte also einmal oder zweimal in der Woche nach Berlin fahren und sämtliche Geschäftsvorfälle nach den Regeln der doppelten Buchführung in den Computer eingeben. Da ich damals noch keinen Führerschein hatte, setzte ich mich also auf mein Fahrrad und strampelte zur nächsten Bushaltestelle an der B 320, das ist etwa 1,5 Kilometer von unserem Wohnsitz entfernt. Dort schloß ich mein Fahrrad an und wartete auf den Bus, der von Cottbus nach Lübben fährt. Vom Lübbener Hauptbahnhof ging es dann nach Königs Wusterhausen, wo der Zug endete. Dann ging es mit der S-Bahn bis zum Bahnhof Charlottenburg. Beim Rückweg mußte ich mich dann so einrichten, daß ich noch den letzten Bus, der gegen 22.30 Uhr vom Bahnhof Lübben bis nach Burg (Spreewald) fuhr, erreichen konnte. Eine halbe Stunde mußte man dann zwar in Lübben vertrödeln, aber das war immer noch bequemer, als 14 km von Lübben bis Wußwerk mit dem Rad zu strampeln.

Eines Abends, als ich von der Bus-Haltestelle an der B 320 mitten im nachtschwarzen Wald auf mein Fahrrad umgestiegen war und quer durch den Wald durch die absolute Finsternis strampelte, hörte ich auf einmal ein wütendes Schnauben neben mir. Ich wußte zuerst nicht, was das sein könnte, aber als dann noch ein tiefes Grunzen von rechts und links, von vorn und hinten hörte, dämmerte es mir, daß mich ein Wildschweinrudel umzingelt hatte. Ich redete die unsichtbaren Begleiter an, erklärte ihnen, daß ich kein Jäger bin und alle Wilschweine wunderschön fände - und strampelte im gleichen Tempo weiter. Ich hatte nur Angst davor, daß mich eines anstoßen und ich dann in der absoluten Finsternis stürzen würde. Doch die Wildschweine hatten meine Rede ganz offensichtlich verstanden. Das wütende Schnauben hörte auf. Ich hörte jedoch, wie sie links und rechts neben mir herliefen. Schließlich hatte ich den Wald durchquert und kam wieder auf die Straße. Die Wildschweine blieben im Wald zurück. Ich war erleichtert. Ähnliches ist mir später mehrmals passiert, aber da wußte ich, daß man mit Wildschweinen reden kann und Wildschweine die menschliche Rede - wenigstens dem Sinn nach - auch sehr wohl verstehen.

 

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