Der Weg zur Musenhöhle

1. Kapitel

Einführung


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des "Weges zur Musenhöhle"

Alle Kultur beginnt mit der Kunst des Schreibens. Der Ursprung aller Schriften - mit Ausnahme der ostasiatischen - ist in den altägyptischen Hieroglyphen und in der babylonisch-sumerischen Keilschrift zu finden, die auch von den Hethitern benutzt wurde. Das war vor etwa 5.000 Jahren. Mittels der Hieroglyphen wurden ganze Begriffe dargestellt, während bei der Keilschrift Laute aufgezeichnet wurden. Beide Schriftarten bedürfen der Deutung und Auslegung.

Die erste echte Buchstabenschrift haben wir den Phönikern zu verdanken, die die wirtschaftliche und kulturelle Brücke zwischen den Ägyptern, den Hethitern und den Sumerern herstellten. Das phönikische Alphabet ist die Urmutter des hebräischen, des arabischen, des griechischen und des lateinischen Alphabets. Allerdings handelt es sich bei dem phönikischen Alphabet und eine Art Stenografie, denn es wurden nur die Konsonanten notiert, nicht aber die Vokale. Man muß also die Sprache beherrschen, wenn man deren Abkürzungen entschlüsseln will.

Die Phöniker waren ein Volk von Seefahrern und Händlern, die den gesamten Mittelmeerraum eroberten und dort ihre Buchstabenschrift verbreiteten. Eine weitere Verbreitung von Schrift und Geschriebenem brachten die Eroberungszüge der Griechen und Römer mit sich. Die Kultur der Eroberer vermischte sich mit der Kultur der Besiegten und es entstand etwas Neues.

Wozu wurde das geschriebene Wort zuerst gebraucht? Die Schriftzeichen dienten der Erinnerung an Geschehnisse und an Personen, sie enthielten Botschaften und Gesetze. Ohne die Überlieferung der alten Dokumente wüßten wir heute nur sehr wenig über die damaligen Geschehnisse und vor allem über die damaligen Religionen. Die Grenze zwischen historischen Ereignissen und philosophisch-religiös-poetischer Ausdeutung ist meist fließend.

Erstaunlich ist, daß auf einem relativ engen Raum sich Religionen entwickelt haben, wie sie gegensätzlicher nicht vorstellbar sind. Bei den Hethitern hatte sich eine polytheistische Religion ausgebildet, die geradezu als extrem bezeichnet werden muß. Da die Menschen immer einen anderen für ihre Schicksale verantwortlich machen, niemals jedoch sich selber, mußten Götter herhalten, die sehr menschliche Züge hatten, untereinander zerstritten waren und gegeneinander kämpften. Die Hethiter hatten ungefähr 1000 (!) Götter, davon allein ein knappes Dutzend Wettergötter.

Im größten nur denkbaren Gegensatz dazu steht die monotheistische Religion, wie sie von Mose definiert wurde. Die Schlüsselworte lauten:

1. Und Gott redete alle diese Worte:

2. Ich bin der HERR, dein Gott,
der ich dich aus Ägyptenland, aus dem Diensthause geführt habe.

3. Du sollst keine Götter neben mir haben.

Quelle: 2. Mose 19, 1-3


Bei diesem System des Monotheismus entfiel die Ausrede der Menschen, ihr Schicksal sei der Zerstrittenheit der Götter untereinander zu verdanken. Das monotheistische Prinzip läßt nicht zu, daß der eine Gott mehrere sich widersprechende Haltungen zugleich zeigt. Mit Einführung des Monotheismus sind die Schicksale der Menschen als von ihnen selbst verschuldet zu betrachten, indem die Menschen Gottes Gesetze befolgt oder nicht befolgt hatten. Wer gegen Gottes Gesetz handelt, wird bestraft. Gleiches wird mit Gleichem vergolten: "Auge um Auge, Zahn um Zahn". Dieses Prinzip führt jedoch zur Blutrache und zu nie endenden Kriegen (siehe, was heute im Nahen Osten passiert).

Diese für die menschliche Gesellschaft allgemeingültigen Gesetze - im Alten Testament heißen sie "Gebote" - stehen nicht allein. Im Jahre 1902 wurde in Susa (Irak) die auf einer Diuritstele eingemeißelte Gesetzessammlung des Babylonier-Königs Hammurapi (1728 bis 1686 v. Chr.) gefunden, die mit vielen der im Alten Testament festgehaltenen Gebote übereinstimmt. Auch dort wird mit drakonischen Strafen gedroht und Gleiches mit Gleichem vergolten.

Die später im Christentum vertretene Lehre von der Vergebung der Sünden widerspricht im Prinzip den alttestamentlichen Gesetzen, wie sie im 2. Buch Mose Kapitel 20 bis 22 nachzulesen sind. Im Christentum wird Gleiches nicht mehr mit Gleichem vergolten; der Blutrache und der ewigen Kriege werden damit die Grundlagen entzogen. Die Strafe wird in das Jenseits verlegt. Dort gibt es das Fegefeuer, den feurigen Pfuhl:

Und ich sah einen großen weißen Stuhl und den, der darauf saß;
vor des Angesicht floh die Erde und der Himmel,
und ihnen ward keine Stätte gegeben.

Und ich sah die Toten, beide, groß und klein, stehen vor Gott;
und Bücher wurden aufgetan,
und ein ander Buch wurde aufgetan, welches ist des Lebens.
Und die Toten wurden gerichtet nach der Schrift in den Büchern,
nach ihren Werken.

Und das Meer gab die Toten, die darinnen waren;
und der Tod und die Hölle gaben die Toten, die darinnen waren;
und sie wurden gerichtet, ein jeglicher nach seinen Werken.

Und der Tod und die Hölle wurden geworfen in den feurigen Pfuhl.
Das ist der andere Tod.

Und so jemand nicht ward erfunden geschrieben in dem Buch des Lebens,
der ward geworfen in den feurigen Pfuhl.

Quelle: Offenbarung 20, 11-15

Die Vergebung der Sünden im Diesseits und der feurige Pfuhl im Jenseits sind untrennbar; sie bedingen einander und stellen den Kern der Christenlehre dar.

Die drakonische Drohung mit dem feurigen Pfuhl im Jenseits hatte die Christenheit jedoch nicht abgeschreckt, im Diesseits Verbrechen im Namen Christi zu begehen: Kreuzzüge, Inquisition, Ketzerverbrennungen.

Der Höhepunkt der Entfremdung der Kirche von der Lehre Christi war mit der Einführung des Ablaßhandels durch Organe der Kirche erreicht:

Sobald das Geld im Kasten klingt,
die Seele aus dem Fegefeuer springt.

Das war zuviel. Die Möglichkeit, sich durch Geld oder durch Überschreibung seines Besitztumes an die Kirche vom feurigen Pfuhl freizukaufen, widersprach der christlichen Grundidee total. Die Gewißheit, nach der Beichte von allen Sünden losgesprochen zu werden, ohne im Jenseits für die begangenen Untaten zur Rechenschaft gezogen zu werden, stellte einen Freibrief für die Reichen dar. Damit wurden Machtmißbrauch und Willkür legalisiert.

Aus diesem Grunde kam es zur Reformation und zur Bildung einer reformierten oder evangelischen Kirche (Evangelium = gute Botschaft (Christi)). Es kam neuer Krieg in die Welt. Einige Länder, die sich bereits der Reformation angeschlossen hatten, wurden mit Gewalt gezwungen, wieder zum alten Glauben zurückzukehren. Die Reformbewegung der Täufer - abwertend als "Wiedertäufer" bezeichnet - wurde blutig unterdrückt. In dem wunderschönen Städtchen Münster in Westfalen wurden die Anführer der Täuferbewegung nach ihrer Hinrichtung im Jahre 1536 in eisernen Käfigen am Turm der Lambertikirche aufgehängt. Dort hängen die Käfige noch heute. Die geistigen Nachfahren der Täufer - die Mennoniten, die Hutterer, die Amischen (Amish), die Baptisten - haben - genau wie die im Jahre 70 n. Chr. aus ihrer Heimat vertriebenen Juden - in anderen Ländern Zuflucht suchen müssen und leben heute verstreut in vielen Ländern.

In Frankreich gab es von 1562 bis 1598 einen konfessionellen Bürgerkrieg. Höhepunkt dieser Auseinandersetzungen war die "Bartholomäusnacht" vom 24./25.8.1572, in der tausende von Protestanten - "Huguenots" - ermordet wurden.

In Deutschland wütete von 1618 bis 1648 der Dreißigjährige Krieg. Er hinterließ Schutt und Asche. Gewinnen konnte keiner; es gab nur Verlierer, und zwar auf allen Seiten.

In der alten - der katholischen (allgemeinen) - Kirche hinterließ die Reformation dennoch ihre Spuren. Der Ablaßhandel wurde eingestellt. Im Zuge der Gegenreformation förderte die katholische Kirche Kunst und Kultur nach Kräften, während in der radikal-reformierten Kirche der Schweiz und der Niederlande hingegen die Bilderstürmer Kunstwerke vernichteten und jede Kunst aus der Kirche verbannen wollten. Zu einer Wiedervereinigung der Kirchen kam es jedoch nicht. Zu groß waren die Wunden, die die alte - katholische - Kirche bzw. die mit der Kirche verbündeten Potentaten - hier seien nur Philipp II. von Spanien und sein Statthalter Herzog Alba genannt - den Anhängern der Reformbewegungen durch Inquisition und blutige Gewalt zugefügt hatten. Diese Spannung entlud sich noch 1830 (!) - also nach mehr als 300 Jahren - zwischen dem katholischen Süden und dem reformierten Norden des Vereinigten Königreiches der Niederlande und führte zur Gründung eines selbständigen Königreiches Belgien. Diese Auseinandersetzung nahm ihren Ausgang von einer Aufführung der Revolutionsoper "Die Stumme von Portici" im königlichen Opernhaus zu Brüssel. Die Revolutionsstimmung auf der Bühne sprang auf das Publikum, auf die Stadt Brüssel und auf das ganze Land über. Man sieht, daß das Theater nicht nur die Spiegelung der menschlichen Gesellschaft ist, sondern auch Auslöser für gesellschaftliche Veränderungen sein kann (Das Theater als moralische Anstalt). In diesem Sinn faßten vor allem Friedrich Schiller, Heinrich von Kleist und Bertold Brecht ihre selbstgestellte Aufgabe auf.

 

Rückblickend fragt man sich nach dem Sinn solcher Religionskriege. Es gibt verblüffende Übereinstimmungen zwischen grundverschiedenen Religionen, beispielsweise zwischen den ersten zwei Versen des ersten Kapitels der (monotheistischen) Schöpfungsgeschichte im 1. Buch Mose (von rechts nach links zu lesen) und der dritten Strophe aus "Völuspaa" (Der Seherin Gesicht), dem ersten Lied aus der (polytheistischen) älteren Edda:



         
.Erde-die  und  Himmel-die  Gott   schuf  Anfang-Am

     
, Urtiefe-der  Oberfläche-der-über  Finsternis-und Öde-und Wüstenei war Erde-die-Und

         
.Wasser-der Oberfläche-der-über schwebend (war) Gottes Geist-der-und



Urzeit war es,  da Ymir hauste;
nicht war Sand noch See  noch Salzwogen,
nicht Erde unten  noch oben der Himmel,
Gähnung grundlos,  doch Gras nirgend.


An dieser Stelle sei angemerkt, daß die Worte "Wüstenei" und "und Öde" im Hebräischen wie folgt gesprochen werden:

= TOHU    = WA BOHU       

Der Begriff "Tohuwabohu" stammt also aus der Bibel!   In der griechischen Übersetzung heißt es "Chaos". Es gibt aber noch andere hebräische Worte, die Eingang in die deutsche Sprache gefunden haben. Und es gibt die wundersame Sprache "Jiddisch", eine Sprache, die vor etwa 1000 Jahren entstanden ist, die in der ganzen Welt verstanden wird und aus einer Art Mittelhochdeutsch mit hebräischen (und slawischen) Lehnwörtern besteht: "Pleite", "meschugge", "Massel" (Glück, Erfolg), "vermasselt" (verfehlt, verdorben), "koscher" (einwandfrei, zum Verzehr erlaubt), "Chuzpe" (Dreistigkeit, Unverfrorenheit), "Tacheles" (Zweck, Ziel, Deutlichkeit, deutlich, drastisch) und andere. An dieser Stelle sei das Studium der Internetseiten www.jiddischkurs.org (Sprachkurse an der Universität Potsdam) empfohlen.

Durch die Vermischung und gegenseitige Durchdringung der Kulturen entstand zwischen der Stadt Ur in Chaldäa (im heutigen Irak am Euphrat gelegen) und Island, zwischen Portugal und Rußland eine einmalige Kulturlandschaft mit vielen Facetten.

Besonders im antiken Griechenland spielte die Kultur eine überragende Rolle. Dort verehrte man die Musen, die Töchter des Zeus und der Mnemosyne, als Göttinnen der Künste und der Wissenschaften sowie als Hüterinnen einer harmonischen Ordnung. Als ihr Sitz galt der Helikon, später auch der Parnaß.

Neun Musen sind bekannt: Klio (Geschichte), Kalliope (Epos, Elegie), Melpomene (Tragödie), Thalia (Komödie), Urania (Astronomie), Erato (Liebeslied, Tanz), Euterpe (Musik, Lyrik), Terpsichore (Chorische Lyrik, Tanz) und Polyhymnia (Tanz, Pantomine, ernstes Lied).

Auch im geistig-intellektuellen Deutschland hatten die Musen ihren Platz. Die Herzogin Anna Amalia von Sachsen-Weimar-Eisenach (1739-1807) begründete den "Weimarer Musenhof", zu dem - neben Goethe und Schiller - auch Christoph Martin Wieland, Johann Gottlieb Herder, Johann Karl August MusäusCharlotte von Stein, Corona Schröter, Wilhelm von Humboldt, Friedrich Hölderlin, Jean Paul und Heinrich von Kleist gehörten. Schiller gab von 1796 bis 1800 eine Zeitschrift mit dem Titel "Musenalmanach" heraus.

Die Landgräfin und pfälzische Prinzessin Karoline Henriette von Hessen-Darmstadt (1721-1774) machte Darmstadt zu ihrem "Musenhof". Und der Dichter Gottfried August Bürger (1747-1794) gab von 1778 bis 1788 den "Göttinger Musenalmanach"  heraus. Bürgers Ziel war die Vereinigung von Bildungs- und Volksdichtung, Kunst- und Naturpoesie.

Zwar können wir nicht mit einem "Musenhof", wie er in Weimar und in Darmstadt bestand, in irgendeiner Weise mithalten. Wir sind bescheidener und begnügen uns mit einer "Musenhöhle", hoffen aber dennoch, etwas zur Erhaltung und Verbreitung von Kultur (und - nicht zu vergessen - auch zur Erhaltung und Verbesserung der Rasse des Deutschen Teckels) beitragen zu können.

Die nachstehend beschriebenen verschiedenen Wege zur Musenhöhle sollen dem Wanderer etwas von dem Facettenreichtum der "abendländischen" Kultur vermitteln, auf daß der Wanderer sich anregen lassen möge, selbständig weitere Exkursionen in die Welt der Musen - also in die Welt der Künste und der Wissenschaften - zu unternehmen. Kultur - und besonders Musik - ist spannend, vor allem dann, wenn es nicht um die breiten vielbefahrenen Straßen, wie die Bachstraße, die Händelallee, die Mozartstraße, den Beethoven-Boulevard oder den Richard-Wagner-Platz geht, sondern wenn es vielmehr darum geht, verwachsene Pfade wieder zu entdecken, beispielsweise einen Joachim-Raff-Weg, einen Carl-Reinecke-Weg, einen Albéric-Magnard-Weg, einen Granville-Bantock-Pfad, eine Piazza Giuseppe Martucci oder eine Wassili-Kalinnikow-Gasse. Und es gibt neue Wege, die kaum jemand kennt. Die Wege, die mit den Namen Gustav Mahler, Alexander Skrjabin und Arnold Schönberg verknüpft sind, galten, als sie noch neu waren, als unpassierbar oder in die Irre führend. Heute sind sie breit und gangbar. Es gibt also viele Wege, die zur Musenhöhle führen, und die ganz schmalen Pfade führen am schnellsten dorthin.