Zuchtprinzipien (1)

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In diesem Kapitel werden Tatsachen geschildert und Meinungen vertreten. Die Tatsachen sind belegbar. Bei den Meinungen handelt es sich um meine persönlichen Ansichten als Züchter, die aus langjähriger Erfahrung resultieren.  




Es war einmal eine Zeit, in der ein weltberühmter Züchter von Kurzhaarteckeln das Amt des DTK-Bundeszuchtwartes bekleidete und ausfüllte: Ernst Kamphausen. Dieser Bundeszuchtwart hatte eine lange Reihe von Beiträgen in der Vereinszeitschrift "DER DACHSHUND" publiziert, in denen wissenschaftliche Erkenntnisse und eigene züchterische Erfahrungen in gut lesbarer und verständlicher Form vermittelt wurden. Als ich mich zum Züchten entschloß, um eine Kurzhaarteckel-Blutlinie mit langer Tradition vor dem Erlöschen zu bewahren, hatte ich mir von älteren DTK-Mitgliedern alle alten DACHSHUND-Hefte geben lassen, die in Kellern und Hängeböden verstaubten und hatte diese Hefte alle nacheinander durchgearbeitet. Mit Ernst Kamphausen hatte ich dann selber auch Brief-Kontakt. Sein Ableben hinterließ eine Lücke im DTK, die bis heute nicht geschlossen werden konnte.

Ernst Kamphausen war ein strikter Gegner von allzugroßer Reglementierung. Er setzte auf die Erfahrung und auf das Verantwortungsbewußtsein der Züchter und hatte recht damit. Zu seinen Zeiten (und auch davor) wurden hervorragende Teckel gezüchtet, wie sich aus vielen alten Fotos erkennen läßt. Ernst Kamphausen warnte mehrmals eindringlich davor, ständig die Zucht- und Eintragungsbestimmungen zu ändern und zu verschärfen. Er unterstützte die Züchter und ermutigte sie auch zum Experimentieren; ein Ratschlag, der angesichts der Tendenz, die Zucht- und Eintragungsbestimmungen ständig zu verschärfen und immer mehr zuchtausschließende Gründe zu erfinden, heute unvollstellbar erscheint.

Bei meiner Zucht habe ich mich auf die im DACHSHUND veröffentlichen Artikel aus der Feder Ernst Kamphausens, auf die Erfahrungen einiger bedeutender Züchterinnen und Züchter sowie auf eigene Beobachtungen gestützt. Ich hoffe, diese Erkenntnisse den Lesern dieser Seiten einigermaßen vermitteln zu können.

Die Kenntnis der sogenannten Mendelschen Gesetze, in denen Beobachtungen bei der Vermehrung von Pflanzenhybriden festgehalten wurden, muß vorausgesetzt werden. Diese Gesetze, die sowohl zum Gebiet der Kombinatorik als auch zum Gebiet der Statistik - beides Sondergebiete der Mathematik - gehören, sind in quantitativer Hinsicht nur bei einer sehr großen Anzahl von Nachkommen genau. Je weiniger Nachkommen aus einer Verpaarung entstehen, um so größer ist der Einfluß des Zufalls bei der Vererbung von bestimmten - erwünschten - Eigenschaften.

Im Moment der Vereinigung einer Eizelle mit einer Samenzelle sind zunächst sämtliche Erbanlagen der Eltern vorhanden. Die Anzahl der Erbanlagen des neu entstehenden Individuums muß jedoch konstant bleiben, da die Summe der Chromosomen und damit auch die Summe der Gene konstant bleiben muß. Die Hälfte der Summe der Erbanlagen beider Eltern geht verloren, ja muß sogar verlorengehen, denn sonst müte sich die Anzahle der Gene in jeder Generation verdoppeln. Welche Erbanlagen verlorengehen, hängt vom Zufall ab. Es gibt dabei jedoch eine Ausnahme: wenn eines der von den Eltern ererbten Genpaare defekt ist, wird es in der Regel abgestoßen und geht verloren, sodaß das neue Individuum das gesunde Gen behält. Sind beide Genpaare defekt, muß es zur Katastrophe kommen: das neue Individuum hat einen Fehler, der bis zur Lebensunfähigkeit gehen kann. Man erkennt hier die Gefahr zu enger Inzucht.

Ein Paradebeispiel für die Wiedererlangung der Reinerbigkeitdurch durch Verlust von Erbanlagen ist das gelegentliche Auftreten von kurzhaarigen Teckeln in Rauhhaarzuchten. Bei diesen ist ganz einfach das Hauptgen für die Rauhhaarigkeit herausgefallen.

Nun werden aber nahezu alle Eigenschaften nicht durch einzelne Gene, sondern durch eine Vielzahl von Genen bestimmt, die sogar auf verschiedenen Chromosomen sitzen können. Es können somit bei den kurzhaarigen Rückschlägen die anderen Gene, die mit der Rauhhaarigkeit zusammenhängen, sehr wohl noch verhanden sein. Das Ergebnis sind dann reinerbige kurzhaarige Hunde mit einem sehr dichten und robusten Fell.

Vor mehreren Jahrzehnten war die Verpaarung von Rauhhaarteckeln mit Kurzhaarteckeln noch gestattet. Man versprach sich auf diese Weise bei Kurzhaarteckeln eine Verbesserung der Behaarung in Richtung größerer Stabilität und bei der Rauhhaarteckeln in Richtung weniger Wolligkeit. Gleichzeitig versprach man sich bei der Rauhhaarteckelzucht eine Verbesserung der oft zu breiten Kopfform und vor allem der oft zu steilen Hinterhand.

Heute ist eine Kreuzungszucht zwischen Rauhhaar- und Kurzhaarteckeln strengstens verboten. Eine Verbesserung von Eigenschaften durch Kreuzungszucht zwischen Rauhhar und Kurzhaar ist also nicht mehr möglich.

Der DTK ist aber noch viel weiter gegangen. Wenn aus Rauhharzucht ein Kurzhaarteckel fällt, der in Bezug auf die Haarart zwingend reinerbig sein muß und ein dichtes stabiles Haarkleid hat, so darf ihm - auch wenn er eine hervorragende Kopfform und eine ebenso hervorragende Hinterhand haben sollte - nach dem Willen der DTK-Zuchtkommission nur ein "gut" zuerkannt werden - und das bedeutet im Klartext Zuchtuntauglichkeit.

Wenn man eine einzige Eigenschaft betrachtet und zwei Individuen miteinander verpaart, von denen eines diese Eigenschaft in idealer Form hat und das andere diese Eigenschaft nur in ungenügender oder gar unerwünschter Form hat, so gibt es bei dem Nachwuchs Möglichkeiten, und zwar - statistisch gesehen - 25% Individuen mit der Idealform dieser Eigenschaft (reinerbig), 50% Mischformen (gemischterbig) und 25% mit der unerwünschten Form dieser Eigenschaft

Betrachtet man zwei Eigenschaften, gibt es bereits 16 Kombinations-Möglichkeiten, von denen jedoch nur eine einzige die beiden erwünschten Merkmale reinerbig verkörpert und eine einzige die unerwünschten Eigenschaften reinerbig verkörpert. Bei drei Eigenschaften gibt es 64 Kombinationen, bei vier Eigenschaften sind es 256 Kombinationen und bei fünf Eigenschaften bereits 65.536 .

Die Zahl der Möglichkeiten reduziert sich jedoch , wenn beide Zuchtpartner mehrere Eigenschaften in idealer Weiser verkörpern. Doch jetzt beginnen weitere Schwierigkeiten. Wie schon erwähnt, hängen die meisten Eigenschaften nicht nur von einem einzigen Gen ab. Die Tigerung beispielsweise hängt bei Teckeln mindestens von drei Genen ab, von denen sich eines dominant vererbt und die beiden anderen sich rezessiv vererben. Wenn man also einen Tigerteckel mit einem schwarzroten Partner verkuppelt, so gibt es nur dann Tigerteckel-Nachwuchs, wenn der Partner mindestens eines der dazugehörigen rezessiven Gene in seinem Erbgut führt. Anderenfalls wird es immer nur schwarzroten Nachwuchs geben.

Das Scheckungs-Gen vererbt sich - im Gegensatz zum Tigerungs-Gen immer rezessiv, wobei Grad und Farbe der Scheckung von weiteren Genen abhängen.>

Sowohl die Tigerung als auch die Scheckung können sowohl sehr ausgeprägt auftreten als auch ganz unauffällig sein. Ein Paradebeispiel war die Kurzhaarteckel-Hündin Hirakla vom Lindenhorst (siehe untenstehendes Bild). Der halbe Körper war weiß und in dem dunklen Teil waren Tiger-Stellen.

Hirakla vom Lindenhorst 8700185 K/Zw, Foto vom November 1988
Auf dem Rücken sind deutlich zwei Tiger-Stellen erkennbar

Das andere Paradebeispiel ist meine Hündin Halka von der Musenhöhle. Sie hat auf der rechten Seite einen kleinen weißen Tigerfleck. Bei der Wurfabnahme bestand dieser Fleck nur aus zwei oder drei weißen Haaren, die sich dann ständig vermehrten, bis nach zwei Jahren ein knapp pfenniggroßer weißer Tigerfleck da war. Halka ist als "schwarzrot" im Stammbuch des DTK eingetragen worden; tatsächlich handelt es sich aber um eine Tigerteckel-Hündin. Ihre Mutter Freia von der Musenhöhle ist eine Tigerteckel-Hündin und ihr Bruder Hüon von der Musenhöhle war ein Tigerteckel.

Halka von der Musenhöhle 94K7822K/Zw, Foto vom 7.3.2002

Der auf dem Foto erkennbare kleine helle Fleck ist tatsächlich ein Tigerfleck; zwischen den weißen Haaren finden sich schwarze Haare. Es ist also kein Schecken-Fleck. Auch oben auf dem Kopf hat sie ein paar Tigerhaare. Halkas Vater Szu z Taczanowa war selbst kein Tigerteckel; aber er hatte eine Tiger-Hündin zur Mutter: Neatly Canis Venator.

Neatly Canis Venator, PKR. M-CLIII-38283, Foto vom Sommer 1984


Die Scheckung tritt am häufigsten in Form eines mehr oder weniger ausgeprägten Brustflecks auf. Sie kann aber auch ganz unauffällig sein. In meiner Zucht hatte ich einmal eine Hündin (Ks 88 Brangäne von der Musenhöhle), bei der man nur bei einem bestimmten Lichteinfall (von schräg hinten) sehen konnte, daß die blauschwarze Grundfarbe von großen rotschwarzen Flecken - etwa so wie ganz dunkler Kupferlackdraht - auf dem Rücken und auf den Schultern unterbrochen wurde. Leider ließ sich diese farblich kaum erkennbare Scheckung nicht im Bild festhalten.

Hinsichtlich der Tigerteckel-Zucht gibt es eine Menge Vorurteile, die wissenschaftlich jedoch nicht belegbar sind. Es wird behauptet, daß die Tigerung zwangsläufig mit angeborenen Augenfehlern, angeborener Taubheit und anderen Fehlern einhergehe. In diesem Zusammenhange wird sogar von einer "Qualzucht" geschrieben. Ein Beweis für eine immer vorhandene Verknüpfung der Tigerung mit den geschilderten Fehlern ist jedoch bis heute nicht erbracht. Ich habe mir die Stammbücher des DTK ab Jahrgang 1939 besorgt oder habe mir die Kurzhaar-Teile aus den Stammbüchern kopiert. Dann habe ich - zuerst von Hand (siehe den Abschnitt "Vorfahren") und dann mittels eines Computerprogramms - die Blutlinien der Kurzhaar-Tigerteckel untersucht. Dabei stellte mußte ich feststellen, daß vor einem halben Jahrhundert eine Reihe von Züchtern, die im Besitz von Tigerteckeln waren, über Generationen hinweg die brutalstmöglichste Inzucht betrieben hatten, die es gibt (Vater-Tochter-Verbindungen, Mutter-Sohn-Verbindungen und Vollgeschwister-Verbindungen) um zu Tigerteckel-Nachwuchs zu kommen. Es kam bei der Partnerwahl nur auf die Vererbung der Tigerung an; die Probleme, die sich bei solcher Inzucht manifestieren, wurden ignoriert; man nahm damals einen Teil "Ausschuß" in Kauf.

Nun stammen in Deutschland praktisch sämtliche Tigerteckel von den deutschen Tigerteckeln ab, die das Jahr 1945 überlebt hatten, sowie von Tigerteckeln aus England, die schon immer mit den deutschen Tigerteckeln verwandt waren. Und da besteht zwar die Gefahr, daß die Veranlagung für die genannten Erbkrankheiten mit vererbt wird, aber diese Vererbung erfolgt nicht zwangsläufig. Es sei daran erinnert, daß bei jeder Vereinigung einer Eizelle mit einer Samenzelle die Hälfte der Summe des Erbgutes verloren geht. Und in diesem Verlust liegt die Chance des Züchters. So können unerwünschte Eigenschaften durch geeignete Partnerwahl wieder abgestoßen werden. Doch dazu braucht man züchterische Erfahrung, Intuition, viel Geduld und - nicht zuletzt - Glück.

Wie bereits ausgeführt, vererbt sich die Tigerung dominant; die genannten Erbkrankheiten vererben sich jedoch rezessiv. Es ist daher im höchsten Maße dilettantisch, von vornherein zu behaupten, die Tigerteckelzucht sei "Qualzucht" und müßte verboten werden.

Ich selbst hatte einen schönen Tigerteckel (kleiner Zwergteckel) mit sehr dunklen Augen, mit ausgezeichnetem Gehör und mit einer stabilen und sehr dichten Behaarung. Leider gab es zu seiner Zeit nur eine einzige Hündin (Kaninchenteckel an der Grenze zum Zwerg), die als Partnerin in Frage kam, um mit einiger Wahrscheinlichkeit Tigerteckel-Nachwuchs hervorzubringen. Heutzutage braucht man für die Verpaarung eines Zwergteckels mit einem Kaninchenteckel eine Genehmigung des Bundeszuchtwartes. Da dies heutzutage zwingende Vorschrift ist, stellte also einen entsprechenden Antrag. Doch der Bundeszuchtwart des DTK, der die beiden Hunde überhaupt nicht kannte, hatte ohne irgendeinen Grund vom "grünen Tisch aus" meinen Antrag auf Verpaarung meines Zwergteckel-Rüden Hüon von der Musenhöhle mit meiner Kaninchenteckel-Hündin Jokaste von der Musenhöhle abgelehnt!!!


Bevor eine geeignete schwarzrote Zwerg-Hündin mit Tigerblut aus meiner eigenen Zucht herangewachsen war, die als Partnerin für Hüon geeignet gewesen wäre, um Tigerteckel hervorzubringen, und bei der keine Genehmigung des Bundeszuchtwartes einzuholen gewesen wäre, kam der Rüde ums Leben. Damit ist meine Tigerteckel-Linie erloschen.

Die Verantwortung für das Erlöschen dieser vielversprechenden Linie trägt der Schreiber des obenstehenden Briefes. Er hat damit der Teckelzucht insgesamt geschadet, und zwar aus dem folgenden Grunde: Bisher war die Tigerung bei allen bekannten Fällen immer mit einer unregelmäßigen Pigmentierung (Fleckigkeit) der Netzhaut verbunden. Von einer Reihe von Fachleuten (?) wird diese Fleckigkeit der Netzhaut als eine "Anlage zu PRA" angesehen; ein Beweis dafür ist jedoch bisher nicht erbracht worden. Die Fleckigkeit der Netzhaut ist auch bei den schwarzroten Nachkommen eines Tigerteckels mitunter bis zur 10. Generation feststellbar.

Bei einer Augenuntersuchung im Juni 1997 stellte die Tierärztin Frau Dr. Allgöwer (ein sehr "strenges" und sehr aktives Mitglied des "Dortmunder Kreises") fest, daß sie noch niemals eine so gut pigmentierte Netzhaut wie bei diesem Tigerteckel Hüon von der Musenhöhle gesehen habe. Hüon war möglicherweise der erste Tiegerteckel im DTK, bei dem die Koppelung der Fellzeichnung mit einer lückenhaften Pigmentierung der Netzhaut nicht mehr vorhanden war. Dem DTK ist somit durch die grundlose Verweigerung der Verpaarungsgenehmung durch den Bundeszuchtwart und deren fatale Konsequenzen die wahrscheinliche für lange Zeit einmalige Chance entgangen, Tigerteckel ohne jedwede Disposition zu Augenkrankheiten züchten zu können.

In der Politik haben schon Leute wegen vergleichsweise geringerer Fehlentscheidungen die Konsequenzen gezogen (oder ziehen müssen).

Interessant ist übrigens die Rückseite der Ahnentafel dieses Rüden. Wie man sieht, hat Hüon am 17.11.1996 auf einer Gruppen-Zuchtschau ein "VORZÜGLICH", am 14.6.1997 auf einer CAC-Schau ein "GUT" und einen Tag später auf einer Landessieger-Zuchtschau wieder ein "VORZÜGLICH" zuerkannt bekommen. Der Rüde hatte sich bei allen drei Zuchtschauen gleich gut gezeigt. Da kann man schon ins Grübeln kommen . . .